Im Oktober soll gewählt werden: Während Wien in vielerlei Hinsicht als Mustermetropole gilt, wächst auch hier die soziale Ungleichheit, erst recht durch COVID-19. Eine neue linke Partei will das thematisieren.
Von Vera Deleja-Hotko
Am Asphalt vor dem Rathausplatz sind Sterne aufgemalt, einfache aus vier Strichen. Zwischen ihnen ist je ein Meter Abstand. Auf vereinzelten Sternen stehen Menschen mit Masken vor Mund und Nase sowie Transparenten in der Hand. Etwa hundert sind gekommen.
Der erste Mai am Wiener Rathausplatz. Normalerweise ist der Platz an diesem Tag vollgestopft mit Menschen, die rote Fahnen schwenken und Transparente hochhalten. In diesem Jahr ist alles anders. Die SPÖ hat aufgrund von COVID-19 die Feier zum Tag der Arbeit ins Digitale verlegt. Von ihr geblieben ist nur ein Fiaker mit SPÖ-Luftballons, der am Rande des Platzes steht. Vor dem Rathaus steht eine andere Partei. Sie nennt sich Links.
Im Jänner 2020 wurde sie gegründet. Die InitiatorInnen sind der Meinung, dass der linke Teil des Parteienspektrums in Österreich nicht nur frei ist, sondern unbedingt befüllt gehört.
Was linke Politik für sie bedeutet? Eine klar antikapitalistische Haltung. Hier ziehen sie auch ihre Trennlinie zur SPÖ und zu den Grünen.
Groß war deshalb auch die Freude, als klar wurde, dass sie am ersten Tag, an dem Demonstrationen wieder erlaubt waren, am Rathausplatz stehen würden. Ein Anfang, ein ganz kleiner. Aber ob der für einen Einzug in den Gemeinderat reicht?
Gemma Wahlkampf. Während Theater, Hotels und Fitnessstudios wieder öffnen, bereiten sich die Parteien auf den Wahlkampf vor. Bereits Mitte April, zu einem Zeitpunkt, zu dem klar war, dass in den nächsten Monaten nichts klar sein wird, machte Wiens amtierender Bürgermeister Michael Ludwig nämlich eine Ansage: Im Herbst solle in Wien gewählt werden. Am besten am 11. Oktober. Dafür werde er sich einsetzen. Wie genau eine solche Wahl in Zeiten von COVID-19 ablaufen soll, ließ er offen.
Das Themenfeld dafür ist jedoch bereits angerichtet: Wer bietet welche Lösungen in Zeiten von Corona?
Anfang Juni ist der Wahlkampf bereits in vollem Gange. Auch wenn er nicht klassisch in Erscheinung tritt. Ludwig, der am rechteren Rand der Partei steht, muss sich zum ersten Mal vor einer WählerInnenschaft beweisen.
Seine Bundespartei steckt in der Dauerkrise. Laut Umfragen liegt die SPÖ in Wien aber stetig bei etwa 35 Prozent.
Pass Egal Wahl
Während reguläre Wahlen stattfinden, ruft die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch zur sogenannten Pass Egal Wahl auf. Alle, die aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von den österreichischen Wahlen ausgeschlossen sind, können dort ihre Stimme abgeben und so ein Zeichen für demokratische Inklusion setzen.
Bei der Nationalratswahl 2019 wurde die Pass Egal Wahl zum ersten Mal in jedem der neun Bundesländer abgehalten. Mehr als 2.900 Menschen beteiligten sich, ein TeilnehmerInnenrekord.
Die Grünen waren dabei die großen Gewinner. Die „Wahl“ ist nicht repräsentativ für die Gruppe der Nicht-Wahlberechtigten. Im Herbst 2020 wird es eine Pass Egal Wien Wahl geben.
V. D.-H.
Ludwig kommt es nicht ungelegen, dass seitens der ÖVP erneut der Kampf zwischen Hauptstadt und Bund angefacht wird und er sich als Verteidiger Wiens inszenieren kann.
Die ÖVP hat eine Chance gewittert. Sie will in Wien ein historisches Ergebnis erreichen. Türkis könnte im Jahr nach dem Ibiza-Skandal Stimmenzuwachs aus dem ganz rechten Lager erhalten.
Auch die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein kandidiert zum ersten Mal. Sie will aus Wien eine „Klimahauptstadt“ machen und am liebsten den Autoverkehr um die Hälfte reduzieren. Um daran weiter arbeiten zu können, müssen die Grünen für die Wahl ihre ökologische Stadtpolitik, die sie bisher umsetzen konnten, hervorstreichen. So wie zum Beispiel die „Coolen Straßen“ im Sommer, die Begegnungszone in der Mariahilfer Straße, aber auch der Pool für den Neubaugürtel.
Unterschiede benennen. Wieso braucht das rot-grün regierte Wien eine neue, linke Partei? „Wien ist eine der lebenswertesten Städte auf der Welt“, so Mahsa Ghafari, eine der GründerInnen von Links bei einem Videotelefonat. „Aber nicht jeder lebt gleich in dieser Stadt. Deshalb gilt es diese Unterschiede zu benennen.“
Benennen will sie auch, wie Privilegien verteilt sind, wer welchen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Wohnen hat. „Es braucht mehr Mut in der österreichischen Parteienlandschaft, radikalere Forderungen zu stellen“, betont Ghafari, die auch eine der SprecherInnen von Links ist.
Politisch aktiv war sie bisher primär jenseits von parteipolitischen Strukturen. Ghafari war sieben Jahre lang im Vorstand der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch und gründete den Verein Flucht nach Vorn.
Bis sie sich dachte, dass Arbeit jenseits der Parteienpolitik nicht ausreichen würde, um notwendige Veränderungen voranzutreiben. „Etablierte Parteien haben mich massiv enttäuscht“, sagt Ghafari. So kam sie zu Links.
Die Gründung der Partei sei ein Prozess gewesen, geprägt vom Beobachten des österreichischen Polit-Spektakels, vor allem unter Schwarz-Blau bis Ibiza.
Für die GründerInnen zeigte sich zudem in der Vergangenheit, dass kleinteilige Zersplitterung im linken Spektrum keine Erfolge bringen. Deshalb sollen unter dem Namen Links mehrere Gruppen ihren Platz finden: Einerseits andere Parteien, wie die KPÖ oder Wien Anders, aber auch NGOs und Interessengruppen.
Parteiprogramm und SpitzenkandidatInnen sollen basisdemokratisch im Juli beschlossen werden. Was es jedoch bereits seit der Gründung gibt, ist eine klare Forderung: Wahlrecht für alle – und zwar wirklich alle.
Ausgeschlossen. „Ich weiß, wie es ist, ausgeschlossen zu werden“, erzählt Ghafari. 1996 ist sie mit ihrer Familie aus dem Iran nach Österreich geflohen. Genauer nach Floridsdorf. Dort wuchs sie auf inmitten von Plakaten wie „Daham statt Islam“.
Mit dem Erhalt des Asylbescheides musste sie ihre iranische Staatsbürgerschaft ablegen. Die österreichische bekam sie dafür nicht. 20 Jahre lang konnte sie nicht mitbestimmen. „Ich musste mir andere Felder suchen, um meiner Stimme Gehör zu verschaffen.“
Fast jede dritte Person, die in Wien lebt, darf nicht wählen. In manchen Bezirken, wie in Rudolfsheim-Fünfhaus, ist es sogar beinahe jede zweite. Der Grund: die fehlende österreichische Staatsbürgerschaft. Obwohl viele von ihnen schon über Jahre in Österreich leben und arbeiten.
Die Rechtslage zählt zu den restriktivsten in Europa. Im Regelfall kann man die österreichische Staatsbürgerschaft erst beantragen, nachdem man zehn Jahre durchgehend in Österreich gelebt und gearbeitet hat. Auch der Lohn in dieser Zeit muss überdurchschnittlich hoch sein. Selbst vielen ÖsterreicherInnen wäre es nicht möglich, diese Hürde zu nehmen, betonte auch Experte Gerd Valchars.
Der Politikwissenschafter hat 2019 in einer Studie darauf hingewiesen, dass der hohe Anteil in Österreich lebender nicht Wahlberechtigter ein Zeichen einer „defizitären Demokratie“ sei.
Valchars vorgeschlagene Maßnahmen: leichtere Einbürgerungen, Wahlrecht bei längerem festem Aufenthalt und erleichterte Doppelstaatsbürgerschaft.
Versuche, die Situation zu ändern, gab es bereits seitens der SPÖ, der Grünen, aber auch der NEOS – natürlich in unterschiedlichen Ausprägungen.
Geändert werden kann dies jedoch nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat. Zu diesem Schluss kamen VerfassungsrichterInnen, nachdem FPÖ und ÖVP geklagt hatten, weil SPÖ und Grüne 2002 in Wien das Wahlrecht für alle beschlossen hatten.
„Die Frage der politischen Mitbestimmung ist eine ganz zentrale“, so Angelika Adensamer, ebenso Sprecherin bei Links. Adensamer war lange Zeit bei der Datenschutzorganisation epicenter.works und arbeitet jetzt am Institut VICESSE. Auch wenn das Wahlrecht derzeit nicht geändert werden könne, „kann man andere Formen der Mitbestimmung finden und einführen“.
Grätzel-Mobilisierung. Links spricht also nicht zuletzt Bevölkerungsgruppen an, die einen nicht in den Gemeinderat bringen werden.
Zudem will die Initiative enttäuschte SPÖ-WählerInnen fischen. Sowie Grün-WählerInnen, die Kompromisse, die die Partei als Koalitionspartner oft eingeht, nicht mehr hinnehmen wollen.
Die Herausforderung scheint groß. Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik verweist im Interview mit dem Südwind-Magazin (siehe Interview rechts) darauf, dass neue Parteien für Erfolg ein Programm, eine charismatische Person an der Spitze und finanzielle Ressourcen brauchen. Und die Uhr tickt: Es sei schwer, so Praprotnik, „sich in so kurzer Zeit als Partei zu etablieren“.
Bis Redaktionsschluss hat Links etwa hundert Mitglieder bzw. AktivistInnen, wie die neue Partei sie bezeichnen will. Viele fokussieren dabei auf Mobilisierung in den Grätzeln. Die ist nämlich ausschlaggebend.
Um überhaupt bei der Wahl auf dem Zettel zu stehen, braucht es als Partei, die noch nicht im Gemeinderat vertreten ist, Unterstützungserklärungen. 100 in jedem der 18 Wahlkreise und für die Bezirksvertretungswahl nochmal 50 pro Bezirk. Unterstützungserklärungen müssen persönlich am Gemeindeamt unterzeichnet werden. In Zeiten von COVID-19 eine weitere Hürde.
Auch wenn es nichts wird mit dem Wahlerfolg oder gar mit dem Wahlantritt, hätte man zumindest Aufmerksamkeit geschaffen für Themen, so die Links-Sprecherinnen.
Vera Deleja-Hotko ist freie Journalistin mit Schwerpunkten Migration, soziale Ungleichheit, Rechtsextremismus und Westafrika.
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